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Julia Ullrich5 Minuten Lesezeit

Omnichannel-Lösungen im Vormarsch: Braucht es noch eigenständige Workforce Management-Software?

In Zeiten fortschreitender technologischer Entwicklungen und dem Aufkommen internationaler Anbieter mit umfassenden Omnichannel-Lösungen mit WFM-Komponenten stellt sich die Frage: Spielt das traditionelle Workforce Management (WFM) noch eine relevante Rolle oder ist es ein Auslaufmodell? Im Rahmen dieses Interviews diskutieren die Experten Marc Ohlmann von TeleTrain und Roland Ruf von Ruf Beratung die aktuellen Herausforderungen und Potenziale des Workforce Managements. Tauchen Sie mit uns ein in die Debatte über die Zukunft dieser Komponente im Kundenservice und entdecken Sie, wie Automatisierung und veränderte Arbeitsstrukturen die Rolle des Forecasts beeinflussen und wo und wie WFM überhaupt noch Sinn ergibt.

Es drängen immer mehr internationale Anbieter auf den deutschen Markt, die eine Omnichannel Lösung anbieten mit einer Workforce Management-Komponente im Gepäck. Ist es noch zeitgemäß eine eigenständige WFM-Lösung einzusetzen oder handelt es sich um ein Auslaufmodell?"

Roland Ruf: Die All- in-One Lösungen heute versprechen nicht nur viel, sondern halten es auch. Das ist der große Unterschied zu den Angeboten, die es bereits vor 10-15 Jahren gab. Die modernen Lösungen bieten umfassende Funktionalitäten für die Abwicklung von Multichannel Anfragen. Zudem bieten immer mehr Hersteller auch eine integrierte Personaleinsatzplanung an. Diese stehen in Bezug auf Funktionalität und Leistung den eigenständigen Lösungen in nichts nach. Der große Vorteil ist, dass weniger Silos entstehen und ein ganzheitlicher Blick auf Kunden und Mitarbeiter ermöglicht wird. Also, eine eigenständige Software braucht man in vielen Bereichen nicht mehr.

Marc Ohlmann: Es ist richtig, dass wir immer öfter sehen, dass WFM mit im Paket angeboten wird und von klassischen Omnichannel Herstellern „on top“ mit verkauft wird. Diese Lösungen haben zwei Nachteile: sie sind weder passgenau auf die Bedürfnisse des Kunden abgestimmt, noch haben die Anbieter die nötige Expertise, um den Kunden entsprechend zu unterstützen. Ich sehe weiterhin den Bedarf einer leistungsstarken Software und Beratung für WFM am Markt.

Wenn immer mehr Standard-Anfragen von Bots erledigt werden, haben wir dann zukünftig noch die großen Anrufvolumina und den entsprechenden Personalaufwand? Spielt da der Forecast noch eine Rolle?

Marc Ohlmann: Der Forecast an sich spielt noch immer eine entscheidende Rolle. Wenn ich mit Forecasting starte, können Überkapazitäten deutlich und abgebaut werden, insbesondere wenn an verschiedenen Standorten in virtuellen Teams im Multi-Channel gearbeitet wird. Unternehmen, die schon immer Forecast gemacht haben, fahren die teilweise übertriebene Genauigkeit ihres Betrachtens vieler verschiedener Szenarien vor einer Planung wieder etwas herunter.

Roland Ruf: Die Planung und die Bindung des Personals werden zukünftig im Vordergrund des WFMs stehen. Der Forecast hat noch seine Relevanz, wird bei der Wichtigkeit aber immer mehr in den Hintergrund treten. Bereits heute setzen fast 53% der Unternehmen Chat auf der Website ein und 26 % einen Chatbot (Quelle: Trend-Studie Contact Center), die Tendenz ist klar steigend, so dass das Personal im Service zukünftig immer komplexere Anfragen bzw., beratungsintensive Gespräche annimmt. Das bedeutet, dass das Personal besser ausgebildet sein muss und mehr Aufwand in die Schulung investiert werden muss. Die Zeiten der Mindestlohn-Jobber im Kundenservice im großen Stil, bei denen auf Sekunden geachtet wird, sind vorbei und somit muss ein Forecast nicht mehr ganz so präzise sein. Was wiederum bedeutet, dass die Algorithmen zur Forecast-Kalkulation nicht bis zum Ende hin ausgereizt sein müssen, womit wieder eine All-In-One-Lösung oft reicht.

Welche Potenziale ergeben sich zukünftig für die Mitarbeiter?

Roland Ruf: Multichannel Lösungen führt zum Blending der Kommunikationskanäle nicht nur auf technologischer Ebene. Auch die Arbeit der Service-Berater ist heutzutage flexibler und vielfältiger. Sie beantworten Chat, E-Mail und Telefon. Dadurch wird meiner Meinung nach die Fluktuationsrate sinken, da ein Arbeitstag im Blendling, also Schrift und Sprache, wesentlich angenehmer ist.

Marc Ohlmann: Wir werden Teams haben, die verschiedenen Tätigkeiten nachgehen. Der Personal-Verschleiß am Telefon ist hoch. Ein Arbeitstag am Telefon ist unheimlich anstrengend, weshalb auch die Fluktuation in Call Centern immer sehr hoch war. Blending ist in der Realität angekommen und Mitarbeiter sind nicht mehr nur für das Telefon oder nur für den Schriftverkehr zuständig. Die besser ausgebildeten Mitarbeiter chatten, telefonieren und beantworten E-Mails.

Viele WFM -Projekte werden gestoppt, weil der Betriebsrat nicht einwilligt. Ist auch eine Änderung der Haltung des Betriebsrats in Sicht?

Marc Ohlmann: Der Betriebsrat ist immer eine Herausforderung und oft ein Showstopper. Das liegt zum einen daran, dass wir, Berater, Integratoren oder Hersteller, die Lösung nicht gut genug und nicht früh genug erklären. Das können wir konkret ändern und Betriebsräte frühzeitig einbinden und in kleineren Schritten, z.B. mit einer kleinen Personalgruppe, eine Lösung testen. Doch nehme ich auch aktuell immer wieder Betriebsräte wahr, die gegenüber allem, was festgehalten, aufgezeichnet oder bewertet wird, misstrauisch sind und meinen, Mitarbeiter zu schützen, indem sie innovative Software verweigern. Diesen Schalter legen wir nicht so schnell um - leider.

Roland Ruf: Ich sehe das ähnlich. Viele Betriebsräte sind immer noch der Meinung, dass es schlecht für Mitarbeiter ist, wenn die Performance sichtbar ist. Tatsächlich ist es aber gut für die Mitarbeiter. Denn wenn ich beispielsweise nicht weiß, dass jemand Schulungsbedarf hat, kann ich auch kein entsprechendes Training anbieten. Zudem muss ich darauf hinweisen, dass viele Daten von Mitarbeitern sowieso sichtbar ist. Wir wissen, wann ein Bus an welcher Haltestelle ankommt. Gläserner kann ein Busfahrer als Mitarbeiter gar nicht sein – da bin ich bei manchen Betriebsrat- Anforderungen betreffend die Mitarbeiter im Call Center manchmal verwundert. In beiden Fällen geht es doch um Arbeitssteuerung – zum Wohle des Unternehmens UND des Mitarbeiters.

Was muss Workforce Management zukünftig können und wie kann eine Software dabei unterstützen?

Marc Ohlmann: Eine gute Frage. Dazu müssen Unternehmen wissen, wie ihr Kundenservice aussehen soll. Welche Anfragen von wem kommen an? Wen möchte ich persönlich bedienen und wen oder was beantworte ich über einen Chatbot. Eine Adressänderung im Versicherungsbereich ist eine seltene Gelegenheit mit dem Kunden ins Gespräch zu kommen und neue Produkte zu verkaufen. Für andere ist es ein notwendiges Muss und der Chatbot kann es besser als ein Mensch. Unternehmen brauchen eine gute Datenbasis, die sie analysieren, um eine klare Strategie aufzustellen.

Workforce Management hat nicht ausgedient, ist aber starken Veränderungen unterworfen. Viele nützliche Tools zur Personalplanung kann heute eine All-in-One Lösung bieten. Aber ich sehe immer wieder Anforderungen in Projekten, wo eine spezielle Lösung gebraucht wird. Wann das der Fall ist, muss im Einzelfall von Experten abgeschätzt werden.

Roland Ruf: Da stimme ich voll zu. Ich denke zudem, dass mit gestiegener Automatisierung und gestiegenen fachlichen Anforderungen an die Kundenservice-Mitarbeiter sich Workforce Management weg von der KPI-Betrachtung und weg von der bestmöglichen Auslastung des Personals entwickelt. WFM wird dazu genutzt werden Personal zu binden, z.B. über die Möglichkeit der eigenständigeren Zeiteinteilung oder des autarken Schichtentauschs. Selbstorganisiertes Arbeiten wird auch in den Contact Center immer mehr gelebt. Und wenn ich gut ausgebildetes Personal bekommen und halten möchte, ist das einfach ein Muss! Deshalb müssen die Bereiche Mitarbeiterqualifizierung, Qualitätsmanagement und WFM verschmelzen. Das Personal muss immer besser ausgebildet werden. Es wird mehr in die Ausbildung und das Lernen investiert – und dazu muss ich wissen, wann ich ausbilden muss und wann ich ausbilden kann.

 

Das Interview führte Julia Ullrich.

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Julia Ullrich

... ist selbstständige Marketing-Beraterin und Online-Moderatorin. Sie unterstützt ihre Kund:innen in den Bereichen Marketingplanung und -umsetzung sowie Content-Entwicklung als Interim Managerin oder auf Projektbasis.

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